Brief von Stresemann

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Dr. Gustav Stresemann
Mitglied des Reichtags
Berlin, den 4. Juni 1921
Sehr geehrter Herr Professor!  
Anlässlich unserer letzten Unterredung habe ich u.a. als Zeichen für die wachsende Missstimmung gegen Frankreich erwähnt, dass besonders das Verhalten der Besatzung in den besetzten Gebieten dazu beitrage. Im Verfolg einer von mir in Wiesbaden gehaltenen Rede, ist der Vorsitzende der Deutschen Volkspartei zu 1 500,- MK Geldstrafe verurteilt worden, weil die französische Kommission in meiner Rede eine Beleidigung Wilsons sah und weil sie den Namen: "Nationale Einheitsfront", der eine ganz bestimmte Bedeutung hat (Regierung von den Deutschnationalen bis zur Sozialdemokratie) als Aufforderung zum nationalen Widerstand ansah. Die Beleidigung Wilsons wurde darin gefunden, dass ich erklärt, der Präsident der Vereinigten Staaten sei erfahrungsgemäss vom amerikanischen Grosskapital abhängig.
Diese Angelegenheit ist ja nun erledigt und wird schliesslich nicht neuen Staub aufwirbeln.

Dagegen gestatte ich mir Ihre Aufmerksamkeit auf ein anderes Urteil zu lenken, dessen Beseitigung sicherlich im Interesse einer Verständigung liegen wurde.

Die Deutsche Volkspartei hat bei den letzten Wahlen Plakate herausgegeben, die das Bild der Königin Luise trugen mit der Aufschrift:

"Vertraut ! Hofft !"
Deutsche Volkspartei

Diese Plakate sind an die Geschäftsstellen der Partei geschickt worden mit der Aufforderung mitzuteilen, ob sie sie im Wahlkampf verwenden wollen. Die Geschäftsstelle Wiesbaden hat Bestellungen nach Berlin nicht erteilt, hat auch die übersandten Probeplakate nicht aufgehängt, sondern die von Berlin dirigierte Sendung im Walhbüro behalten. Eine französische Kommission hat das Wahlbüro inspiziert, die Plakate dort gesehen und daraufhin ist der Geschäftsführer der Deutschen Volkspartei, Herrn Jauck zu 5 Monaten Gefängnis verurteilt worden.

Ich bemerke, dass Herr Jauck diese Plakate weder angefertigt, noch bestellt, noch verkauft hat, vielmehr lediglich im Walhbüro der Deutschen Volkspartei die Sendung der Zentrale Berlin, deren Inhalt er garnicht kennen konnte, entgegengenommen hat. Wenn die französische Regierung durch diese Plakate sich beunruhigt fühlt, so musste sie gegen die Leitung der Deutschen Volkspartei in Berlin wenden, keinesfalls konnte sie einen der unbeteiligten Empfänger dafür strafbar machen.

Sie haben mir seinerzeit in einer früheren Unterredung einmal gesagt, dass Sie dankbar wären, wenn ich Sie auf Einzelheiten hinwiese, in denen berechtigte Gründe zu deutschen Beschwerden gegenüber der französischen Besatzung vorlägen, und ich gestatte mir darauf Bezug nehmend Ihre Aufmerksamkeit auf diesen Fall zu lenken. Die Haft, die der Geschäftsführer Jauck - zudem noch in einer Einzelzelle - zu verbringen hat, dauert bis zum 5. August d. Js. Vielleicht ist Ihnen die Möglichkeit gegeben, die Aufmerksamkeit der französischen Regierung darauf zu lenken, dass ein derartiges Vorgehen gegen eine der bedeutendsten Parteien Deutschlands, naturgemäss ihre Rückwirkung haben muss und nicht im Interesse derjenigen liegt, die eine Entspannung der Lage für wünschenswert halten. Ich habe in meiner letzten Rede im Reichtstag darauf hingewiesen, dass Frankreich sich doch selbst einmal die Frage vorlegen möge, dass solche Gründe die Sympathie des deutschen Volkes mehr und mehr England zutreibe und ich darf wohl annehmen, dass ein derartiges Urteil vor einem englischen Gericht unmöglich gewesen wäre. Ich stelle Ihnen anheim, sich die Akten über diesen Fall von mir einzufordern und wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir mitteilen würden, ob Sie in dieser Angelegenheit eine Remedur veranlassen können.

Mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr sehr ergebener

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