Bayern : Verfassungsfragen und neue Schwierigkeiten

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München, den 2. Juli

Von München war im November die Revolution ausgegangen und hatte auf das übrige Deutschland übergegriffen. Bayern aber war und blieb das revolutionäre Zentrum. Das etwas zaghafte und ängstliche Vorgehen in Norddeutschland erweckte hier das grösste Misstrauen; nichts war den Münchnern revolutionär und radikal genug. Im Sturmschritt ging die Entwicklung nach links, bis man schliesslich bei der Räterepublik gelandet war. Massloser Dilletantismus und russiche Methoden, denen die Einheimischen keinen Geschmack abgewinnen konnten, machten dieses politische Gebilde im Innersten kraftlos und widerstandsunfähig. Es war daher auch nicht schwer, es zu Falle zu bringen. Seither haben die Rechtsparteien die Oberhand, mit denen heute auch das Bürgertum geht, das -immer schwankend und im Grunde indifferent - stets auf Seite des augenblicklichen Machthabers steht. Die Arbeitermassen, heute wieder mehr oder weniger entrechtet, obwohl sie sich durch die Revolution Recht zu schaffen gesucht, stehen abseits und zeigen vorläufig nur ihren Groll gegen das Bürgertum, das sich ihrer Revolution bemächtigt und gegen Ihrer Führer, die sie verraten. So kam es, dass es heute nur mehr rechts und links gibt und jedes Zwischenglied verschwunden ist.

Augenblicklich haben diese Rechtsorientierten das Ruder in der Hand, und die Zustände scheinen sich zu konsolidieren und stabil zu werden. In diesem Gefühle ergreift die jetzige Regierung einschneidende Massnahmen in Bezug auf Verwaltung. Der Landtag hat mit den Beratungen des neuen Verfassungsentwurfes begonnen, wobei er von der Anschauung ausgeht, dass Bayern seine Selbständigkeit bewahren wird. Woher er diese Anschauung nimmt, ist allerdings unerfindlich. Sogar Dr. Grassmann, der Mitverfasser des Entwurfes, hat im Verfassungsausschuss offen erklärt, dass Bayern sehr wenig Aussichten habe, seine Selbständigkeit zu bewahren und bald im Reiche als "Land" aufgehen dürfte, wie es der neue Reichsverfassungsentwurf vorsieht. Da alles von dieser Reichsverfassung abhängt, die übrigens in Weimar bereits bei der zweiten Lesung ist, so kann man es eigentlich nicht begreifen, warum man nicht auch die bayerische Verfassungsfrage bis dahin zurückgelegt hat. Dieses überflüssige Vorgreifen des bayrischen Landtages ist umso unverständlicher, als so viele dringendere Fragen auf sich ihre Lösung warten lassen. In allen Kreisen - ganz abgesehen von den Arbeitermassen - steigert sich täglich mehr der Unwille gegen die Regierung Hoffmann, die seit ihrer Existenz nocht nichts anderes tat, als den Beweis ihrer vollständigen Unfähigkeit zu erbringen.

Wie ein Verhängnis scheint es Bayern zu lasten, dass es keinen einzigen fähigen Politiker aufbringen kann, seit es seinen fähigsten Mann, Kurt Eisner, ermordet hat. Dieses Verhängnis macht sich im besonderen Masse bei den Mehrheitssozialisten bemerkbar, denen ihre verständnislose Opposition gegen Eisner heute wie ein Fluch nachgeht: politisch unfähig in Bayern wie im Reiche, Misserfolg auf allen Linien. Am Erfurter Programm sind sie gescheitert, weil es für die Oppositionspolitik berechnet war. Durch ihr dogmatisches Festhalten am "historisch Gewordenen" sind sie über ihre eigenen Grundsätze gestolpert, als sie von der Opposition in die Regierung kamen. Innenpolitisch haben sie allerdings eine gewisse Klugheit an den Tag gelegt. Nichts wäre nämlich verfehlter gewesen, als ein bankerottes Land überstürzt sozialisieren zu wollen. Während es ihnen hier zwar gelangt, die Inscenierung einer anders schattierten Katastrophenpolitik zu vermeiden, gelang es ihnen auf der anderen Seite wiederum nicht, dem korrumpierten deutschen Grosskapitalismus die Spitze zu brechen und ihm seinen Einfluss zu nehmen.

Die Innenpolitik der Unabhängigen hat radikalere Ziele, die man sich aber als Oppositionspartei leisten kann. Aussenpolitisch haben sich die Unabhängigen als kluge Köpfe gezeigt, und man kann überzeugt sein, dass - weil sie moralisch bedeutend stärker gegen ihre entschiedene Stellungsnahme gegen die Kriegsverbrecher - sie in Versailles anders abgeschnitten hätten, als es die Scheidemänner konnten.

Auf die Dauer ist die Spaltung der Sozialdemokratie nicht denkbar. Wäre aber eine Einigung der Führer nicht zu erziehlen, so käme wohl eine praktische sehr bald zustande - und sie ist heute schon mehr oder weniger vorhanden - die Arbeitermassen stellen sich einfach geschlossen hinter die unabhängigen Führer. Wie schlecht die Aktien der Mehrheitler stehen, hat man bei den letzten Wahlen in Bayern gesehen, wo die Unabhängigen einen glänzenden Erfolg erzielten und die Mehrheitler in eine lächerliche Minderheit gedrängt wurden. Durch das immer frecher werdende Gebahren der Reaktion können eben die Mehrheitssozialisten nicht mehr lange ohne die U.S.P. in der Regierung bleiben. Bei einer solchen Einigung müssten natürlich die Extreme auf beiden Seiten verschwinden. Ich verspreche mir sehr viel von einer solchen Einigung, weil sie in die auswärtige Politik fähige Köpfe bringt und für die Innenpolitik die Garantie gegen unsinnige Experimente bietet.

In Berlin haben kürzlich solche Einigungsversuche stattgefunden, bei denen die Unabhängigen "weit sympatischer und vernünftiger gesprochen" als die Mehrheitler, wie die mehrheitssozialistische "Münchner Post" konstatieren musste. Zu einem Ziele aber haben sie diesmal noch nicht geführt.

Wie im Reiche, so hat sich die Spaltung der sozialdemokratischen Partei auch in Bayern bereits als sehr verhängnisvoll erwiesen.

Die eine Hälfte sitzt in der Regierung, die andere in der Opposition und lähmen sich so beide. Die Mehrheitssozialisten, die im Verein mit den Unabhängigen mühelos in der Lage gewesen wären, ein rein sozialistisches, d.h. in diesem Falle ein rein revolutionäres Ministerium zu bilden, mussten sich, da sie bei den Unabhängigen keine Stütze mehr fanden, mit den mehr oder weniger gegenrevolutionären bürgerlichen Parteien verbünden. Der gegenrevolutionäre Standpunkt der Koalition tritt besonders in Bayern stark hervor, wo das vollständig reaktionäre Zentrum die Hauptstütze der Regierung ist.

Diese Art der Zusammensetzung hatte für Bayern bereits sehr tragische Folgen, indem sie eine der Ursachen der Ausrufung der Räterepublik war. Heute hat sie der revolutionären Entwicklung ein gründliches Ende gemacht und dem demokratischen Fortschritt den Weg verrammelt. Das Resultat der seit einer Woche stattfindenden Verfassungsberatungen kann daher auch nicht in Staunen setzen. Schon der erste Artikel der neuen Verfassung, der Bayern zu einer repräsentativen Republik macht, ist eine Missgeburt. Nicht minder krüppelhaft sind das Referendum und die Initiative zur Welt gekommen. Das Referendum ist nicht einmal in Verfassungsfragen erforderlich, sondern nur wenn es das Gesamtministerium oder der Landtag anruft. Die Initiative wiederum ist nur zulässig, wenn die Regierung ihren Beweggrund für berechtigt erklärt hat! Eine ähnliche Schöpfung ist auch das neue Lehrergesetz, das israelistische Lehrer von der Volksschule, deren christlichen Charakter beibehalten wird, ausschliesst und den klösterlichen Erziehungsanstalten ihre bisherigen Privilegien weiter gewährt, d.h. sie allerdings als gleichberechtigt zu den staatlichen Anstalten anerkennt, aber sie der staatlichen Aufsicht nicht unterstellt.

Wie sich leicht begreifen lässt, ist die Enttäuschung bei allen aufrichtigen Demokraten riesig gross. Hoffmann aber ist gegen das reaktionäre Verhalten des Zentrums machtlos, weil es ihm mit der Drohung des Austrittes aus der Regierung alles abtrotzt, und er ohne das Zentrum, die einflussreichste und mächtigste Partei Bayerns, keine Regierung, die nur einigermassen den Volkswillen zum Ausdruck bringen will, bilden kann. Lange wird dieses System der Drohung nicht währen können, und dann steht Bayern vor einer neuen ernsten Krise: entweder reines Revolutionsministerium, von Unabhängigen und Kommunisten gebildet, d.h. Räterepublik, oder rein reaktionäres Ministerium. Die beste Lösung wäre freilich die Aussöhnung der beiden sozialistischen Parteien, sie ist aber innerhalb so kurzer Zeit, wo kaum die Toten der blutigen Maitage begraben sind, noch nicht denkbar.

(Die Unterschrift wurde herausgeschnitten…)

 

 

Version : 09.12.2004 - Contents : Marzina Bernez-Hesnard

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