Die Goethereliquien in Frankreich

Die Fakten

Thomas Mann
an
Dr. Otto Heuer,
Direktor des Frankfurters Goethe-Museums

München, den 25.IX.22
Poschingerstr. 1

 

Sehr geehrter Herr,

Ich schreibe Ihnen aus Anlaß der bevorstehenden skandalösen Versteigerung in Lyon von der für mein Gefühl in der Öffentlichkeit Deutschlands und der übrigen Welt allzu wenig die Rede ist. Nicht nur die Rede, meine ich, müßte davon sein, sondern laute Empörung in aller Welt müßten der französischen Regierung die Niedertracht ihres Benehmens klar machen.Es ist wenig geschehen, um eine solche Bewegung zu entfachen. Man weiß nicht einmal, und auch ich weiß es nicht, welches eigentlich die Gegenstände sind, die das Goethehaus leihweise nach Lyon geschickt hat, und deren Herausgabe es heute mit 600 Millionen Mark bezahlen soll, 1/2 Million Francs, wenn ich recht berichtet bin. Ein Redakteur der Neuen Zürcher Zeitung, Dr. Korrodi, versicherte mir, daß er, wenn er die Liste der Gegenstände hätte, die Angelegenheit nicht nur in seinem Blatte, was internationale Aufmerksamkeit genießt, wirksam zur Sprache bringen würde, sondern auch auf privatem Wege nach Frankreich hin einen Druck ausüben könne. Ich darf Ihnen sehr empfehlen, sich an den genannten Herrn zu wenden, ihm den Hergang der Sache noch einmal klarzulegen und ihm die Objekte, um die es sich handelt, im Einzelnen aufzuzählen. Es handelt sich doch um einen Fall so krasser Infamie, daß die Kulturwelt nicht unaufmerksam oder mit Achselzucken darüber hinwegsehen darf. Es muß vielmehr an die große Glocke gehängt, und kein Mittel dazu, auch nicht das eines öffentliches Protestes, dem es an Unterschriften aus allen zivilisierten Ländern unmöglich fehlen könnte, dürfte unversucht bleiben.

Hochachtungsvoll

Thomas Mann

 

 

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Version : 09.12.2004 - Contents : Marzina Bernez-Hesnard

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